RNZ: Schlechte Nachrichten für die Heidelberger Altstadt (05.02.10)

Die Stadtverwaltung dämpft die Hoffnungen der Anwohner,
dass man dem Lärm in der Altstadt mit rechtlichen Mitteln Herr werden kann



Der Lärm in der Altstadt beschäftigt mittlerweile viele städtische oder quasi städtische Gremien: den Gemeinderat, den Runden Tisch ­und nun auch den Bezirksbeirat Altstadt. Doch dieses Mal wurde es konkret ­ und für die Bezirksbeiräte auch etwas frustrierend. Denn BürgermeisterWolfgang Erichson berichtete, was die Stadt konkret tun kann, um dem Dauerproblem Lärm Herr zu werden. Und das ist, nach geltender Rechtslage, nicht viel. Natürlich könnte man, wie oft gefordert, den Kommunalen Ordnungsdienst (KOD)aufstocken, um Präsenz in der Altstadt zuzeigen. Erichson fand die Idee an sich nicht schlecht, denn auch er beklagte ein "Vollzugsdefizit": "In seiner jetzigen Besetzung ist der KOD nicht in der Lage, seine Aufgabe in vollem Umfang zu erfüllen." Eine Aufstockung des KOD sei eineFrage des nächsten Haushalts, da sei ab Herbst dann der Gemeinderat am Zug.

Und wie sähe es mit mehr Polizei aus, fragte Bezirksbeirat Peter Seidel (SPD)? Man könne doch die Altstadt zu einem Einsatzschwerpunkt machen. Auch da bremste Erichson die Erwartungen: "Wir bekommen einen Einsatzzug der Polizeinur nach wochenlanger Voranmeldung. Die Polizei ist momentan total ausgelastet, was auch an den Einsätzen bei den Fußballspielen in Sinsheim und Sandhausen liegt. Für einen Dauereinsatz in der Altstadt hat die Polizei einfach nicht genug Personal."

Schlechte Nachrichten auch für diejenigen, die gerne fest installierte Lärmmessstellen an den Altstadt-Brennpunkten hätten. Man könne zwar den sogenannten "anlagenbezogenen Lärm", also den der Kneipen- oder Disko-Musik, zur Not noch mobil messen (und auch abstellen). Schwieriger wird es mit dem Lärm, den Menschen machen ­und genau der bringt die Altstadtanwohner ja besonders zur Weißglut. "Für einen solchen Lärm gibt es keine gesetzlichen Lärmschutzrichtlinien", erklärte Bürgeramtsleiter Bernd Köster, es fehlt also schlicht die Rechtsgrundlage: "Unser Rechtssystem kennt den personenbezogenen Lärm nicht", sagte Erichson.

Und mit festinstallierten Messgeräten sieht es schlecht aus, denn die widersprechen den detaillierten gesetzlichen Erfordernissen, wonach zum Beispiel die Schallquelle nicht verdeckt sein darf. Eigentlich darf nur der den Lärm messen,der ein Messegerät hat, das dem Bundes-Immissionsschutzgesetz entspricht. Und das sind in der Regel die Messgeräte, die das Umweltamt vier Mal im Jahr einsetzt.Und die registrieren bekanntlich nur den Kneipenlärm ­ und nicht die Lautstärkevon Passanten.

Aber vielleicht sitze das Problem ja viel tiefer, meinte GAL-Bezirksbeirat Gerd Guntermann. Denn die Probleme der Altstadt seien vielmehr ein bundesweites und ein gesellschaftliches Problem,dem man mit "Teillösungen" so nicht beikommen könne. Dem stimmte auch Köster zu: Das Ausgeh- und Trinkverhalten der jungen Leute habe sich massiv verändert; und wenn die Leute erst einmal voll seien, neigten sie auch viel stärker zur Gewalt. Doch: "Die Rechtsinstrumente im öffentlichen Raum reichen nicht aus."

So gibt es kaum eine Handhabe, gegen Gröler vorzugehen; Randalierer bekommt man nur zu fassen, wenn sie jemanden verletzen und seltener, wenn sie nur gegen Hauswände pinkeln; auch das Alkoholverbot, über das das Land entscheiden muss, ist noch nicht auf dem Weg. Und doch: "Allein nur repressiv tätig zu werden, reicht nicht aus", fand Köster und verwies auf erhebliche Anstrengungen der Stadt bei der Suchtprävention.

Nur: Was nützt die, wenn die Säufer nicht aus Heidelberg kommen? Erichson erklärte, dass die meisten Ordnungswidrigkeiten von Nicht-Heidelbergern begangen würden: "Die kommen aus ihren Kleinstädten, um am Wochenende in Heidelberg die Sau rauszulassen. Und am Montag gehen sie wieder ganz normal ihrer Tätigkeit nach." Und während sie als einzelne noch ganz verträglich seien, seien sie in der Gruppe die Pest.

Erichsons frustriertes Fazit: "Wir können die Probleme nicht allein in Heidelberg lösen." Hoffentlich bleibt es beim nächsten Runden Tisch am Montag nicht ausschließlich bei solchen frustrierenden, da resignativen Einsichten.

Von Micha Hörnle, RNZ 05.02.2010




Hintergrund

Der Runde Tisch "Pro Altstadt" will "Lärm, Dreck und Randale in der Altstadt" offen ansprechen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Der erste Runde Tisch tagte am 10. November (es ging um eine Lageanalyse), der letzte mit konkreten Lösungsansätzen soll im März stattfinden. Zum nächsten Runden Tisch am Montag, 8. Februar, von 18.30 bis 21.30 Uhr im Großen Rathaussaal sind auch wieder Interessierte eingeladen. Es ist der dritte öffentliche Runde Tisch. Zielfür den Montag ist es, dass sich die Vertreter derunterschiedlichen Interessengemeinschaften auf geeignete Maßnahmen und Lösungsansätze verständigen.

Am Runden Tisch nehmen teil: Stadtteilverein Alt Heidelberg, Bürger für Heidelberg, die Bürgerinitiativen "Linda", "ILA" (Initiative gegen ein Einkaufszentrum),"Wohnen in der Altstadt", "BIEST" (Initiative gegen den Stadthallenanbau), "Kornmarkt", "Dreikönige", "FALK" (Initiative der Feierwilligen), Studentenwerk, Fachschaftskonferenz Wirtschaftsförderung, Amt Gaststätten "Destille", "Sonderbar" und "Mels", Mitglieder des Bezirksbeirates der Universität, Kinderbeauftragter, Industrie und Handelskammer Rhein Neckar, Deutscher Hotel und Gaststättenverband Baden-Württemberg, Einzelhandelsverband Pro Heidelberg, Mitglieder des Jugendgemeinderates, Polizeidirektion, Oberbürgermeister Eckart Würzner, Bürgermeister Wolfgang Erichson, OB Referat, Bürgeramt, Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und Energie, Amt für Abfallwirtschaft und Stadtreinigung, Amt für Öffentlichkeitsarbeit und Heidelberg Marketing. hö

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    # by Götz Jansen - 07.02.10, 17:55

    Zu unserem Rechtssystem:
    Unser Rechtssystem kennt den personenbezogenen Lärm sehr wohl. Unser Rechtssystem wendet sich allerdings nicht gegen die lärmende Person selbst, das ist richtig. Unser Rechtssystem wendet sich aber gegen Betriebe, die zur Unzeit und am falschen Ort lärmende Personen ausstoßen. Das Gesetz heißt „Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG). Zweck dieses Gesetzes ist es, Menschen, ..... vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen .... (Zitat) In der dazu gehörenden Verwaltungsvorschrift „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ heißt es unter anderem: „Eine achtstündige Nachtruhe der Nachbarschaft im Einwirkungsbereich der Anlage ist sicherzustellen.“ Es ist die Diskrepanz zu dieser Vorschrift und die Untätigkeit der Stadtverwaltung dazu, die die Altstadtanwohner besonders zur Weißglut bringt.

    Noch zu festinstallierten Messgeräten: Die detaillierten gesetzlichen Erfordernisse für Schallmessungen, die Herr Erichson anspricht, sind mit fest installieren Messgeräten um ein Vielfaches leichter einzuhalten, als mit allen anderen Messgeräten oder Mess-Prozeduren. Es geht aber auch darum: Der ganz natürliche Ablauf wäre doch der, dass die Stadt die so gewonnenen Messungen als Grundlage für ihre eigenen Maßnahmen nimmt. Dazu müssen die Messungen nur selbst gestellten Forderungen genügen. Die Erscheinungen, um die es geht, wiederholen sich ja ständig. Falls Fragen auftauchen, kann das jeder zu jeder Zeit selbst nachmessen.

    Schönen Gruß
    Götz Jansen