Yannik Zundl, Vertreter der Fachschaftskonferenz:
Rede am 08.02.2010 beim dritten Runden Tisch "Pro Altstadt"

"Ich bedanke mich für die Gelegenheit, die Problematik in der Altstadt, die wir hier diskutieren, auch aus studentischer Sicht zu beleuchten und hoffe, dass sich hieraus etwas fruchtbares ziehen lässt für diesen Prozess. Als Student der Geschichte möchte ich Ihnen zunächst etwas vorlesen, vielleicht kennen ihn einige schon, den Beschwerdebrief (aus unimut) des Kaufmanns Lindau aus dem Jahre 1856, der uns hier vielleicht etwas verdeutlicht. Dieser schreibt dort an das Innenministerium:

"Es ist eine allgemeine Klage aller friedlichen Bewohner hiesiger Stadt, auch der ordnungsliebenden Professoren, daß die Universitätspolizei, wie sie zur Zeit besteht, zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung durchaus nicht hinreicht. Die dem allgemeinen Polizeipersonal, den Gensdarmen und Polizeidienern, ertheilte Befugniß des Einschreitens bei Ruhestörungen durch Studenten verübt, ist so beschränkt und an solche Förmlichkeiten gebunden, daß der Dienst der Polizei zur Nachtzeit den Bediensteten nur Ärger und Demüthigungen und das Gefühl der kläglichsten Ohnmacht bereitet. –
So geht kaum eine Nacht vorüber, ohne daß Schwärme von Musensöhnen in wüstem Gebrülle die Straßen durchziehen, die Schellen an den Häusern, die Schilder, die Kandelröhren herabreißen, vorübergehende Personen verhöhnen, oft thätlich beleidigen und die nächtliche Ruhe in den heimgesuchten Stadttheilen bis 2-3 Uhr des Morgens stören. Die städtische Polizeibehörde, hierüber zum Bericht aufgefordert, wird im Stande sein, eine Menge einzelner Vorgänge namhaft zu machen, wo die Ordnung auf ’s Gröblichste gestört wurde."


Zu sehen, welche Ähnlichkeit die Ausführungen des Herrn Lindau mit unserer heutigen Situation haben – die Ähnlichkeit mit dem Namen des Initiativenverbands Linda mag dabei ein zum schmunzeln anregendes Detail sein – kann uns möglicherweise helfen, diese besser einordnen zu können, und der Mythos, alles sei immer schlimmer geworden, und wir hätten eine grundlegende Änderung in der Einstellung der Leute oder der jungen Leute, lässt sich zumindest historisch nicht belegen. [...weiterlesen]

Selbstverständlich darf der Schluss daraus nicht Untätigkeit sein, die schulterzuckend darauf verweist, dass das ja schon immer so war.

Wir müssen das allerdings zur Kenntnis nehmen, und anhand dessen prüfen, ob die Maßnahmen, mit denen wir heute glauben, die Situation in den Griff zu bekommen, wirklich den Kern des Problems treffen und wirklich wirken können – oder ob wir uns da nicht was vormachen, und statt ernsthafter Beruhigung der Lage nur weitere Konflikte schaffen.

Der Maßnahmen-Katalog von Stadt und Polizei ist gut gemeint. Er zeigt das ernsthafte Bemühen der Behörden, sich der Probleme der AnwohnerInnen und Anwohner anzunehmen, und mit ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln vorzugehen. Er bleibt dabei aber strukturell bedingt auf die behördliche Logik von „Maßnahmen“ beschränkt, einer Logik, die sich des Symptoms einer Problematik meist repressiv annimmt, die Ursache bleibt aber unangetastet.

Die AnwohnerInnen und Anwohner sollten dabei nicht den Fehler machen, zu glauben, die Regierenden könnten die Probleme allein lösen, wenn man sie nur genug dazu nötigt. Es ist ein Teil, ein relevanter Teil, aber überschätzen Sie nicht die Möglichkeiten der Ämter, bringen Sie sie auch nicht in eine Position, in der sie sich unter Druck sehen, etwas zu leisten, was sie alleine gar nicht leisten können.
Denn was wir dann zu spüren bekommen, ist – nicht nur – aber auch, die volle Liste von Zwangsmitteln, deren primäres und hilfloses Ziel es ist, die Altstadt für junge Leute unattraktiv zu machen und potentielle Ruhestörer von der Straße zu fegen – notfalls auch im wahrsten Sinne des Wortes mit der Kehrmaschine, wie in Punkt 35 vorgeschlagen. Ein Vorschlag der zwar sicher zum Amüsement zuschauender Anwohner beiträgt, sicherlich aber nicht weniger laut ist als die, die man verscheuchen will und bei jenen sicher nicht gerade zur Deeskalation beiträgt. Gleiches gilt etwa für „Jugendschutzaktionen“ nach Punkt 25, wie sie etwa an der Neckarwiese auch schon gelaufen sind – wer das miterlebt hat, das war erniedrigend für die Betroffenen.

Wenn wir wirklich eine Lösung finden wollen, dürfen wir uns auch nicht so verzweifelt festklammern an Projektionen, wie etwa dass wir denken, wenn die Leute keinen Alkohol trinken wird alles gut – und umgekehrt jeden der Alkohol trinkt, zu einem Wildpinkler und Wandkotzer dämonisieren. Alkoholverbote im öffentlichen Nahverkehr halte ich daher für abstruse Gängelei und überdies den Auswuchs einer wirkungslosen süddeutschen Spießer-Mentalität.

Profitieren von diesen Vorstellungen tun dann die, die die ganze Zeit ebenso auffällig wie ehrlich ihre Verbundenheit artikulieren – nicht die AnwohnerInnen und Anwohner sind es, die profitieren, wenn nur noch in der Gastronomie getrunken wird und nirgendwo sonst. Eine Umgestaltung der Altstadt im Sinne einer Orientierung auf Schlipsträgerpublikum, das angeblich weniger Probleme bereitet – mein Kommilitone kann als ehemaliger Nachbar eines hochwertigen Hotels ein Lied davon singen – spült Geld in die Taschen einiger Leute, bringt den Anwohnern aber höchstens höhere Mieten.

Ich möchte daher ausdrücklich warnen vor einer Verdrängung lebendiger Jugendkultur, die zum einen in dieser Stadt mit seiner Universität nicht möglich sein wird, und überdies zu weiteren Konflikten führt: Einen unbewussten Konflikt, nämlich die Randale angenervter Besucher nach der x-ten Jugendschutzaktion und Kehrmaschineneinsatz, sowie den bewussten Widerstand insbesondere der Studierenden gegen die Verdrängung aus ihrem Lebenswelt, in tiefer Enttäuschung von einer Stadt, die sich so lebendig vorstellt, und Unverständnis gegenüber einem eigentlich durchaus verständlichen Anliegen.

Ich will jetzt nicht so tun, als wären klare Rahmenbedingungen und die Durchsetzung dieser durch die Behörden verzichtbar, bitte unterstellen Sie mir das nicht, wenn ich dafür werbe, dass nur Verständnis eine echte, eine grundlegende und vor allem nachhaltige Verbesserung für Sie erreichen kann, liebe AnwohnerInnen und Anwohner. Den Besuchern muss klar sein, wenn sie durch die Straßen ziehen, dass da jemand schlafen will, in dem Maße in denen ihnen das klar ist, wenn sie nachts in ihrem Wohnheim die Tür aufschließen.

Gehen Sie auf die Besucherinnen und Besucher zu, wir müssen mit den Leuten ins Gespräch kommen, müssen ihre Eigenarten ernsthaft kennen lernen um sie zu verstehen und zu sehen, wie man da ran kommt. Schmeißen Sie eine Party, spielen Sie eine Rolle bei Veranstaltungen, gehen Sie raus und reden Sie mit den Leuten, damit die Bettlaken, die harten Worte aus der Zeitung ein Gesicht bekommen, menschlich werden, greifbar werden, damit ein Verhältnis entsteht, denn nur so kommt Verständnis bei den Besucherinnen und Besuchern auf und wirkt auch dann, wenn diese nach einigen Litern Bier heim torkeln – ob diese nun im Wirtshaus gezapft oder im Rucksack mitgebracht wurden.

Jetzt ist unser Beitrag doch etwas grundsätzlicher geworden, angesichts der Gefahr die sich bei einer reinen Konzentration auf die vorgeschlagenen Maßnahmen ergibt halte ich das jedoch für grundlegend, um auch wirklich nachhaltig zu einem guten und für alle Beteiligten zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen, einem Ergebnis dass sich nicht von heute auf morgen erreichen lässt, aber zusammen mit einem verhältnismäßigen Maßnahmenkatalog zu schaffen ist. Grundlegend für einen Weg, den wir, nachdem wir ihn als unumgänglich erkannt haben, mit konkreten Vorgehensweisen beschreiten wollen, mit dem festen Willen, die AnwohnerInnen und Anwohner hierbei mit Rat und Tat nach Kräften zu unterstützen.
Danke."