RNZ: Heidelberg Altstadt, Wer kriegt die Fensterbanksäufer in den Griff? (27.08.09)

Wer kriegt die "Fensterbank-Säufer" in den beschaulichen Gassen in den Griff?

Wer in Heidelbergs alten Gassen lebt, liebt eigentlich die Stadt und ihre Atmosphäre. "Wir wissen, dass wir nicht auf einer grünen Wiese wohnen", sagen die Bürger, die sich jetzt gegen den nächtlichen Lärm ­ und einige andere bedenkliche Unsitten ­ wehren, "aber wir wollen nachtswieder schlafen können".

"Die Altstadt verkommt." "Es stinkt zum Himmel!" "Vor unseren Türen wird uriniert und kopuliert." "Nachts können wir vor Lärm nicht schlafen." "Selbst junge Leute halten es hier höchstens ein Vierteljahr aus." Die Rede ist von Heidelbergs berühmter Altstadt. Deren Bewohner gehen auf die Barrikaden. Eine Interessengemeinschaft "Wohnen in der Altstadt" hat über hundert Unterschriften gesammelt und einen Brandbrief an Bürgermeister und Gemeinderäte geschrieben.

Sie will wissen, ob die Rechte der arbeitenden und Steuer zahlenden Bewohner der Altstadt Vorrang haben vor denen der Gastwirte und der Ruhestörer. Wer bei Stadt oder Polizei für die Einhaltung der nächtlichen Ruhezeiten zuständig ist. Welche Konsequenzen Gastwirte zu erwarten haben, wenn sich vor ihren Kneipen nach 23 Uhr noch Gäste lautstark unterhalten. Und wie viele Gastwirte bisher überhaupt zur Zahlung von Bußgeldern verdonnert wurden.

400 Stühle um Mitternacht
Bis vor wenigen Jahren habe man zufrieden in der Altstadt gelebt, unterstreichen die Betroffenen in ihrem Brief. Doch die Gesamt-Situation habe sich dramatisch verändert. Immer mehr Gaststätten wurden zugelassen, die nächtliche Außenbewirtschaftung und die Zahl der Stühle ­ selbst in bislang reine Wohnstraßen wie die Semmelsgasse hinein ­ erweitert. "Wissen Sie, welchen Lärm es macht, wenn vom Marktplatz um Mitternacht 400 Stühle weggeräumt werden?", fragen die Anwohner.

Dr. Junmin Fang Hoffmann aus der Fischergasse beklagt den Radau der alkoholisierten Kneipenbesucher. Man könne nachts die Fenster nicht mehr öffnen. Sie berichtet von Sachbeschädigungen und vollgepinkelten Eingängen. Auch sonst sind die auswärtigen Besucher der Altstadt nicht pingelig; sie parken ihre Autos vor den privaten Ausfahrten, so dass Ärzte ihre Bereitschaftsdienste nur mit Hilfe der Polizei antreten können. "Wir haben schon angefangen, nach einer an deren Wohnung zu suchen."

"Freitags und samstags geht's hier hoch her", sagt H. P. Fried in der Pfaffengasse und beschreibt auch schon mal ganz drastisch, was es nachts zu sehen, zuhören und zu riechen gibt. Und was die Bewohner morgens alles so vor ihren Türen vorfinden. Manche Altstädter sind täglich dabei, menschliche Hinterlassenschaften zubeseitigen. In der Bussemergasse ärgern sich die Bewohner über ein besonderes Graffito: Jemand hat sich er frecht,ein WC Zeichen mit Pfeil nach unten an die Häuserwand in der Unteren Straße zu malen.

Vier Familienseien schon ausgezogen, heißt es. Andere hoffen bloß inständig auf Besserung. "Ein schöneres Haus finden wir nirgends. Ich liebe das Flair der Altstadt", schwärmt eine Frau, die seit 22 Jahren in der Bussemergasse wohnt. Ihren Namen wollen sie und ihr Mann lieber nicht in derZeitung lesen. Sie haben Angst vor noch mehr Randale vor dem Haus. Abmontierte Schilder, zertrampelte Fahrräder, zerstörte Pflanzkübel ­ das alles haben sie schon zur Genüge gesehen.

Schlafen könne sie nur mit gut schließenden Fenstern und Ohropax im Ohr, sagt die Altstädterin. Sie findet nicht nur die Kneipenbesucher unerträglich laut, sondern auch die Musik aus Kneipen und aus dem Verbindungshaus: "Ich habe keine Lust, die ganze Nacht Salsa zu hören.

"Wenn es in den Gassen dann ruhiger wird, geht der Lärm in der Unteren Neckarstraße beim 'Havana' weiter. "Wir stehen manchmal senkrecht im Bett. Wie oft schreit einer draußen nach Hilfe und wir fragen uns, ob wir jetzt eingreifen müssen", sagen die Anwohner. Schlafen können sie dann sowieso nicht mehr.

Die Polizei sei zu später Stunde nicht mehr präsent, beklagt Altstadt-Bezirksbeirat Fritz Hartmann. H. P. Fried meint gar, dass sich die Beamten gar nicht mehr durch die Untere Straße und die benachbarten Gassen trauten, wo die Zecher nachts Leib an Leib stehen. "Ich habe mehrfach erlebt, dass sie im Polizeiauto sitzen blieben. "Fast hat er Verständnis dafür: "Wir trauen uns auch nicht durch.

"Die 'Fensterbank-Säufer', meint Fritz Hartmann, müssten doch in den Griff zu kriegen sein. Viele Bewohner vertreten die Ansicht, dass es wohl nicht die Heidelberger selbst sind, die ihnen zuschaffen machen. "Da wird Publikum ausdem Umland angelockt, das hier macht, was es sich in den Dörfern nicht erlauben könnte."

Keiner traut sich durch
Besonders auf dem Kieker haben sie die feucht fröhlichen Junggesellen-Abschiede, die in Heidelberg überhandnehmen. Und da wollen auch die Altstadt-Wirte reagieren."Es gibt eine gute Hand voll Kneipen, die diese Auswüchse nicht mehr bewirten will, auch wenn das Verzichtauf Umsatz bedeutet", erklärt Matthias Rohr, Chef im ,,Reichsapfel" in der Unteren Straße und gleichzeitig Vorsitzender der Bezirksstelle Heidelberg im Hotel und Gaststätten Verband.

"Ich sehe die Ängste und Nöte der Anwohner", sagt Rohr, "ich sehe auch vieles, was mir nicht gefällt." Schließlich wohnt er selbst mit Familie inder Unteren Straße und kann an manchen Tagen auch nicht schlafen oder die Fenster erst ab 3 Uhr nachts öffnen. Allerdings findet er auch: 'Die Wirte können nicht füralles verantwortlich gemacht werden.' Er setzt jetzt auf den "Runden Tisch" an dem Stadtverwaltung, Anwohner, Wirte und Polizei im Herbst zusammensitzen sollen. "Das halte ich für sehr gut."

RNZ, Birgit Sommer (
27.08.09)