RNZ: Lärm in der Altstadt (09.07.14)

Hier ist es am lautesten 

Ein Gutachten zeigt: Die nächtliche Lärmrichtwerte werden in einigen Bereichen deutlich überschritten. Jezt arbeitet man im Rathaus wieder einmal an Vorschlägen



Jetzt haben es die Altstädter schwarz auf weiß: Nachts, zwischen 1 und 3 Uhr, werden die Lärmrichtwerte in der Unteren Straße, in der Kettengasse und in der mittleren Hauptstraße oft um 10 bis 15 Dezibel überschritten. Während die Anwohner des Kneipenviertels demnach häufig unter Ruhestörungen leiden, sieht es im Rest der Altstadt recht entspannt aus. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Büros Genest und Partner (siehe Hintergrund), das der RNZ vorliegt. Nun überlegt die Stadt, wie sie mit den Ergebnissen umgeht.

"Wir befinden uns derzeit in der Anhörungsphase", erklärt Bürgermeister Wolfgang Erichson. Das städtische Bürgeramt hat den Verein Alt-Heidelberg, die Initiative "Leben in der Altstadt" und den Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) um eine Stellungnahme gebeten, wie mit dem Kneipenlärmgutachten umzugehen sei.

Nach dem derzeitigen Diskussionsstand ist noch alles möglich. Denkbar wäre, dass die Kneipen in den besonders lärmbelasteten Bezirken unter der Woche bereits um 0 Uhr und am Wochenende um 1 Uhr schließen müssten. Aber auch eine Verkürzung der Sperrzeit ist im Gespräch. Bisher müssen die Gaststätten in der Altstadt unter der Woche von 2 bis 6 Uhr und an Wochenenden von 3 bis 6 Uhr geschlossen sein.

Besonders die Wirte fordern aber, dass auch für das Herzen Heidelbergs die gängige, liberalere Landesregelung gelten sollte, wonach sie erst um 3 Uhr an Werktagen sowie samstags und sonntags um 5 Uhr zumachen müssten. Das Bürgeramt wird sich überdies mit zwei weiteren Grundsatzfragen beschäftigen müssen: Sollen die Ausnahmeregelungen für die Clubs Cave 54, Tangente und Club 1900 fortbestehen. Sie dürfen am Wochenende derzeit bis um 5 Uhr Gäste bewirten.

Der Verein Alt-Heidelberg gab als Erstes seine Stellungnahme an das Bürgeramt ab und begrüßt die Untersuchung, "die hohe Bedeutung für Heidelberg hat", so die Vereinsvorsitzende Karin Werner-Jensen. Das Gutachten könne erhebliche Folgen für zukünftige Genehmigungen von Außenbewirtschaftungen haben sowie Veränderungen der Sperrzeit zugunsten der Bewohner nach sich ziehen. Der Verein bemängelt aber, dass es keine wirklichen Lärmmessungen gab, sondern dass sich das Gutachten nur auf Berechnungen stützt. Die geschätzte Anzahl der Gäste in den Kneipen orientiert sich zum Beispiel an der Anzahl der Sitzplätze. Werner-Jensen und ihre Mitstreiter sind aber davon überzeugt, dass in einigen Lokalen deutlich mehr Besucher verkehren.

Alt-Heidelberg fordert konkrete, "gerichtsfeste" Lärmmessungen und eine Verlängerung der Sperrzeiten. "Je länger die Gaststätten nachts geöffnet haben, desto unerträglicher wird der Lärm und desto weniger ist ein gesunder Schlaf für die Altstädter Bevölkerung gesichert", so das Fazit des Vereins. Zudem müsse der kommunale Ordnungsdienst personell deutlich aufgestockt werden und nachts viel häufiger kontrollieren.

Ganz andere Schlüsse zieht Dehoga-Geschäftsführerin Melanie von Görtz aus dem Gutachten. Wenn die Kneipen eine Stunde früher schließen müssten, bedeute dies Umsatzeinbußen von mindestens 20 Prozent – und das bei gleichbleibenden Kosten. Noch schlimmer würde es die Clubs treffen, wenn die Ausnahmeregelung gestrichen würde, glaubt von Görtz: "Sie müssten dann schließen." Erst wenn die anderen Gaststätten schon zu sind, gehe das Geschäft der Discos erst richtig los. Offenbar gebe es einen "starken Bedarf" in Heidelberg, spät in der Nacht noch auszugehen.

"Wir sind gegen eine Totberuhigung der Altstadt", macht die Dehoga-Funktionärin klar. Seit 2012 die Maßnahmen des Runden Tisches für die Altstadt umgesetzt worden seien, habe sich die Situation für die Anwohner deutlich entschärft. Die Wirte hätten schon viel geleistet, indem sie für Schallschutz sorgten, Lärmpegelbegrenzer einbauten und Türsteher einstellten. Statt die Sperrzeiten noch weiter zu verschärfen, schlägt von Görtz vor, sie entsprechend der Landesregelung versuchsweise zu liberalisieren. Sie vermutet, dass sich dadurch auch die Lärmbelastung für die Anwohner reduziere, weil nicht alle Kneipengänger zur gleichen Zeit auf die Straße strömten.

Erichson ist für alles offen, nur eine flächendeckende Lärmmessung sei nicht sinnvoll, da bereits der Verkehr dafür sorge, dass die Richtwerte der "TA Lärm" überschritten werden. Denkbar wäre für ihn auch eine öffentliche Anhörung unter Beteiligung der Bürger, bevor dem Bezirksbeirat im November und dem Gemeinderat im Dezember die neuen Vorschläge in Sachen Sperrzeiten unterbreitet werden.


via RNZ Online, Holger Buchwald, 09.07.2014


Hintergrund:

Vorgeschichte: Das Ehepaar Jansen aus der Kettengasse klagte gegen die Stadt, weil die Lärmgrenzwerte in ihrer Straße häufig überschritten werden. Vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg schloss man einen Vergleich: Ein Gutachten solle Klarheit bringen und Argumente liefern, ob die Sperrzeiten verändert werden müssen.

Ausgangslage: 160 Gaststätten gibt es im Untersuchungsgebiet, das vom Bismarckplatz bis zum Karlstor und vom Neckar bis zur Klingenteichstraße reicht. Während im restlichen Heidelberg die baden-württembergische Sperrzeitregelung gilt, müssen die Kneipen in diesem Areal früher schließen. Das Büro Genest und Partner kartierte die bestehenden Lokale und unterteilte sie in die Kategorien Restaurants, Bars, Imbisslokale und Diskotheken. Untersucht werden sollte, inwieweit die Richtwerte der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift "Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm" (TA Lärm) überschritten werden. Der Richtwert für Kern- und Mischgebiete, also dem Großteil der Altstadt, beträgt 45 Dezibel.

Das Berechnungsmodell: Grundlage für die Berechnungen sind die geschätzte Anzahl der Besucher, die sich an der Anzahl der Sitzplätze in den Kneipen orientiert. Zudem geht der kommunale Ordnungsdienst davon aus, dass jeweils 20 Prozent der Besucher in den Lokalen stündlich wechseln. Daraus ergibt sich eine Anzahl von Nachtschwärmern, die sich in den jeweiligen Gassen aufhalten. Genest und Partner gingen bei ihren Berechnungen davon aus, dass sie sich laut unterhalten - ähnlich wie dies auf Sportplätzen zu beobachten ist.

Die Ergebnisse: In weiten Teilen des Untersuchungsgebietes werden die Richtwerte eingehalten. In einigen Straßen werden sie leicht überschritten, am deutlichsten jedoch in den Querstraßen Kettengasse, Krämergasse und Haspelgasse sowie natürlich in der Unteren Straße. hob