ruprecht: Heidelberger Altstadt,
Gelbe Karte gegen Krawall (05.09.06)

ruprecht, Heidelberger Studierendenzeitung

Karte gegen Krawall

Verschärfte Kontrollen in der Altstadt

Seit im vergangenen Dezember ein betrunkener Gast nach Auseinandersetzungen in einer Kneipe seinen schweren Verletzungen erlag, hat die Polizeipräsenz in der Altstadt stark zugenommen. Die Maßnahmen zur Sicherheit der Anwohner und Besucher sind jedoch nicht unumstritten. Überwachungsstaat oder notwendige Sicherheit? Auf Initiative der Polizei Heidelberg wurde gemeinsam mit der Stadt und den Altstadt-Gastronomen ein Maßnahmenkatalog erstellt, der Randalierern und Gewalttätern Einhalt gebieten soll.

Wer stört, sieht die „Gelbe Karte“. Sie kann bei Ordnungswidrigkeiten zusätzlich zum polizeilichen Platzverweis, Ordnungswidrigkeits- und Strafverfahren vergeben werden. Die verwarnte Person wird anhand ihrer Personalien und eines Lichtbildes erfasst und so bei wiederholter Auffälligkeit identifiziert. Dann ist mit einem Altstadt-Aufenthaltsverbot von bis zu drei Monaten zu rechnen. „Die Daten werden 17 Monate im Erfassungsregister der Polizeidirektion Heidelberg gespeichert“, sagt Erhard Loy, Leiter des Polizeireviers Mitte. Die Polizei schätzt zudem ab, welches Gefahrenpotential vom Verwarnten ausgeht und gibt eine „Gefahrenprognose“ ab.

Wurden 2004 noch 266 Körperverletzungen aus der Altstadt gemeldet, stieg deren Anzahl im vergangenen Jahr auf 340 Fälle. Die Hälfte aller Ordnungswidrigkeiten 2005 wurden aus der Altstadt gemeldet: Seitenstraßen werden als Toiletten genutzt und die Lärmbelästigung Betrunkener übersteigt immer öfter ein für die Anwohner erträgliches Maß. Abgenommen dagegen hat die Zivilcourage: Schlägereien und Belästigungen werden oft nur noch beobachtet, teils gar bejubelt, anstatt unterbunden und gemeldet. Nur wenige Gäste stellen sich diesem Trend entgegen und greifen bei Eskalationen ein. Ein gemeinschaftliches Verantwortungsgefühl scheint nicht vorhanden, denn das Altstadt- Publikum setzt sich größtenteils aus Bewohnern anderer Stadtteile und dem Umland zusammen. So bleibt der Vandalismus das Problem der Altstadt-Bewohner.

„Mich stört die Polizeipräsenz“, meint Peter Schiel (Name von der Redaktion geändert). Zum Kaffeetrinken mit der Freundin wird er sich in Zukunft andere Orte als den Altstadtkern aussuchen. „Lieber ein Betrunkener, der auffällt, als stete Polizeipatrouillen.“ (...) kennt der moderne Kneipenbesucher keine moralischen Normen mehr?

„Dies ist ein gesellschaftliches Problem“, stellt Dr. Rene Pöltl fest, Heidelberger Stadtrechtsdirektor und einer der Initiatoren der Aktion „Gelbe Karte für Störer“. Ziel der deutschlandweit einmaligen Aktion ist es, die Aufenthalts- und Lebensqualität wieder zu verbessern. Die Gelbe Karte ist für ihn Warnung und Chance zugleich. Mit vernünftigen Maßnahmen soll Partei ergriffen werden für eine lebenswerte und dennoch lebendige Altstadt. Eine Videoüberwachung wird jedoch (...) auf Widerstand stoßen. (...)

Um einem dauerhaften Überwachungssystem aus dem Weg zu gehen, werden im Rahmen einer Deeskalations-Schulung die Gastronomen und das Personal gezielt darauf vorbereitet, mit Randalierern rund um die eigene Gaststätte umzugehen. Dabei sind die rechtlichen Grenzen für die Türsteher sehr eng und passen nicht immer zu deren Verantwortungsbewusstsein den Gästen gegenüber. „Es ist schon vorgekommen, dass mir mit einer Anzeige gedroht wurde, wenn ich Gäste wegen Fehlverhaltens aus dem Laden verwiesen habe,“ erzählt Oli, Türsteher in der Unteren Straße. Er dürfe nur in einem kleinen Bereich vor seiner Tür Gäste kontrollieren, rechtliche Möglichkeiten, auch in größerer Entfernung gegen Schläger einzuschreiten, hat er kaum.

Um sinnvoll und sicher auf dem schmalen Grat zwischen Verantwortung der Kneipen und Privat sphäre der Gäste zu handeln, werden zunächst theoretische und juristische Fragen in kleinen Gruppen behandelt, um dann in praktischen Übungen zu verstehen, was es heißt mit einem schwierigen Kunden umzugehen. Fraglich bleibt, wie sich die Besucher der Altstadt – und dazu gehören wir fast alle mehr oder weniger häufig – verhalten werden. (rol)

Text/Foto: rol