Stellungnahme von LindA zur Sperrzeitenvorlage der Stadtverwaltung


Der Bürgermeister für Integration, Chancengleichheit und Bürgerdienste, Herr Erichson, hat zum
12-11-2014 verschiedene Betroffene und Interessenverbände zu einem Anhörungstermin eingeladen.
Dies  waren: DEHOGA, IHK, ein Wirt, die Polizei, Alt Heidelberg, und LindA.

Hier soll unsere Stellungnahme veröffentlicht werden.





Stellungnahme von LindA zur vorgeschlagenen Sperrzeitenregelung am Anhörungstermin 12. 11. 2014




Sehr geehrte Damen und Herren!

Als Vertreter der Bürgerinitiative LindA und auch für viele Altstadtbewohner bedanke ich mich für die Möglichkeit, vor ihnen zu der Beschlussvorlage zur Sperrzeitenregelung Stellung beziehen zu können. Sie haben als gewählte Vertreter die sicherlich nicht leichte Aufgabe, in Verantwortung für die Bürgerschaft widerstreitende Ansprüche abzuwägen und die Konsequenzen aus einem Gerichtsbeschluss in einer Verordnung umzusetzen.

1. Grundlagen für die Beschlussfassung
Was ist der Hintergrund für die Vorlage der Verwaltung, warum sind wir heute hier? Grundlage ist, wie Sie alle wissen, der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, d.h. der Vergleich im Rechtsstreit zwischen einem Anwohnerehepaar und der Stadt und die daraufhin erfolgte Lärmberechnung für die Heidelberger Altstadt. Darüber hinaus scheinen uns für ein objektives Bild auch die Ergebnisse der Anwohnerbefragung der Polizeihochschule Münster vom Herbst 2013 wichtig, die bislang noch nicht im Gemeinderat diskutiert wurden und leider der Öffentlichkeit noch nicht bekanntgegeben sind.

2. Grundrechtsabwägung
Bei der bevorstehenden Entscheidung zur Sperrzeitenregelung geht es um den Konflikt zwischen den Grundrechten der Altstadtbewohner auf Gesundheit und des Rechts an Eigentum und Nutzung der eigenen Wohnung einerseits und dem Grundrecht der Gastwirte auf Berufsfreiheit und Eigentum andererseits. Dies arbeitet die Beschlussvorlage der Verwaltung sehr klar heraus.  Wir begrüßen dies sehr, diese Klarstellung versachlicht die Diskussion. Es geht bei der Debatte also nicht um widerstreitende Interessen von Lobbygruppen, sondern um die Abwägung zwischen verschiedenen Grundrechten. Betrachten wir also die beiden Seiten:
Die Seite der Anwohner: Es geht nicht um subjektive Befindlichkeiten, sondern um harte Fakten, die durch die Lärmberechnung der Firma Genest und Partner und durch die Anwohnerbefragung belegt werden. Nicht nur LindA sieht die Parameter des Lärmgutachtens kritisch, und eine Einigung zwischen Kläger und Stadt ist noch nicht in Sicht. Dennoch ist festzuhalten, dass die Aussagen des Gutachtens eindeutig eine z.T. erhebliche Überschreitung der in der Verwaltungsvorschrift TA Lärm festgelegten Grenzwerte belegen. Dies wird in der Verwaltungsvorlage deutlich hervorgehoben. Das Gutachten räumt darüber hinaus ein, dass situativ sogar Lärmpegel zwischen 95 und 105 dB auftreten können, die eindeutig gesundheitsschädlich sind – schon 90 dB entsprechen dem Lärm einer lauten Fabrikhalle!

Die Beeinträchtigungen der Lebensqualität gehen ebenso aus der Befragung der Anwohner der Kernaltstadt hervor. 83,5% der Befragten äußern, es bestehe Handlungsbedarf. Dabei sehen sie vor allem Kommune bzw. Stadtverwaltung in der Pflicht.
Die Klagen über Lärm, Dreck und Randale können also nicht als das Lamentieren einer Bürgerinitiative abgetan werden, sondern gehen Schwarz auf Weiß aus dieser offiziellen Erhebung hervor, die Öffentlichkeit und städtische Politik als Anlass zum Umdenken und Handeln nehmen sollte. Auch vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Stoßrichtung der Verwaltungsvorlage. Zusammengefasst ergibt sich, dass bei der Frage der nächtlichen Störungen nicht nur marginal Interessen der in der Altstadt lebenden Menschen tangiert, sondern der Kernbereich des Grundrechts auf Gesundheit verletzt wird. 
 
Betrachten wir die andere Seite, die der Wirte: Wir nehmen die Sorgen der Wirte vor Minderung des Umsatzes durchaus ernst und achten selbstverständlich das Grundrecht auf Berufsfreiheit. Auch wir schätzen und nutzen die lebendige Kneipenkultur der Altstadt. Andererseits erscheint uns bei einer Sperrzeitverlängerung um eine Stunde das Grundrecht auf Berufsfreiheit nicht eingeschränkt zu sein. Zudem kennen wir auch die Sorgen zahlreicher Altstadthoteliers, bei denen Gäste aus Lärmgründen ihre Rechnung nur teilweise oder gar nicht bezahlen. Wir wissen auch: in München z.B. herrscht in der Innenstadt nächtliche Ruhe, und Gastronomen existieren dennoch; dasselbe gilt in vielen anderen Städten der Republik.

Bei der Abwägung der Rechte der beiden Seiten geht es um die Frage der Rangfolge – und da sind wir allerdings der Meinung, dass das Grundrecht auf Gesundheit Vorrang vor berechtigten kommerziellen Interessen und dem natürlichen Interesse der Stadt an Gewerbesteuereinnahmen hat. Dies wird auch in der Verwaltungsvorlage so gesehen.

3. Konsequenzen
Die Beschlussvorlage hebt u.E. richtig hervor, dass für den unzulässig hohen Lärmpegel zwar nicht ausschließlich die Gäste der Gaststätten verantwortlich sind, aber doch den überwiegenden Teil dazu beitragen und dass das Umfeld der anderen nächtlichen Besucher der Altstadt mit den Öffnungszeiten der Gaststätten und Diskotheken korreliert. Insofern ist – sowohl in der Konsequenz des gerichtlichen Vergleichs als auch von der Problematik in der Sache her – eine Neuregelung der Sperrzeitverordnung notwendig und der richtige Ansatz. Dass solche Regelungen, sollen sie wirksam sein, auch kontrolliert werden müssen, ist unabdingbar; insofern begrüßen wir auch den 2. Punkt der Vorlage, die Aufstockung des Kommunalen Ordnungsdienstes. Wir halten jedoch eine Aufstockung um 6 Stellen für erforderlich, da auch in anderen Stadtteilen (Neckarwiese!) KOD-Einsätze notwendig sind.

Wenn man den Ergebnissen der Lärmberechnung folgt, so ist die in der Verwaltungsvorlage getroffene Unterscheidung zwischen der Kernaltstadt und den anderen Bereichen angesichts deutlich unterschiedlicher Lärmpegel auch u.E. sinnvoll. Die Vorverlegung der Sperrzeit für die Kernaltstadt wochentags von 2 Uhr auf 1 Uhr ergibt sich dann in der Befolgung des gerichtlichen Vergleichs ganz konsequent.

Folgt man dieser Argumentation, dann sind allerdings die Beibehaltung der derzeitigen Sperrzeitenregelung für die Nächte von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag, sowie die Ausnahmen für die Diskotheken (§ 3) nicht nachvollziehbar, da diesen Lärmimmissionen und mit ihnen verbundene Wanderbewegungen zuzuordnen sind. Der Betrieb von Musikclubs in Mischgebieten erscheint hinsichtlich der Lärmgrenzwerte überhaupt problematisch. Es ist widersinnig, dass genau in den Nächten des Wochenendes, in denen es nach dem Gutachten besonders laut ist, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht berücksichtigt werden soll.
LindA begründet diese Auffassung mit dem entscheidenden Passus aus dem gerichtlichen Vergleich: „Ergibt die Untersuchung eine Überschreitung der Richtwerte der TA-Lärm durch den den fraglichen Gaststätten zuzurechnenden Lärm, ist eine Überschreitung auch bei Berücksichtigung der übrigen Kriterien [Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz, allgemeine Akzeptanz] um so weniger hinzunehmen, je später in der Nachtzeit sie liegt. Kommen keine wirksamen Maßnahmen aktiven Lärmschutzes in Betracht, dürften die Kläger ggf. einen Anspruch auf die angestrebte Verlängerung der Sperrzeit um eine Stunde auf 1 bzw. 2 Uhr durch Ergänzung der Sperrzeitverordnung der Beklagten haben.“ Aus dem Gerichtsbeschluss geht also klar hervor, dass die betroffenen Bewohner auch am Wochenende einen Anspruch auf Verlängerung der Sperrzeit um eine Stunde auf 2 Uhr haben, wenn, wie geschehen, der Nachweis der erheblichen Grenzwertüberschreitungen erbracht ist. Der oft vorgebrachte Hinweis auf das veränderte Ausgehverhalten greift nach dem Beschluss des VGH nicht. Wir verweisen auch auf die Stellungnahme der befragten Polizei, „dass eine längere Sperrzeit einhergeht mit weniger Alkoholkonsum, geringeren Geräuschimmissionen und einer rückläufigen Zahl an Aggressionsdelikten.“

4. Verantwortung des Gemeinderats für das Gemeinwohl
Sie tragen als gewählte Vertreter der Bürgerschaft Verantwortung für das Gemeinwohl, d.h. im vorliegenden Fall für die Gesundheit und Lebensqualität von Tausenden in der Altstadt lebender Bürger. So wie Sie selbst das Bedürfnis nach angemessener Lebensqualität in Ihrem Wohnumfeld haben, so nehmen Sie bitte den Anspruch der Altstädter auf etwas mehr Nachtruhe ernst. Tragen Sie Sorge dafür, dass der Ausdruck „Ballermann Heidelberg“ wieder aus den Gazetten und Fernsehanstalten verschwindet! Die hier lebenden Heidelberger machen ja schon Kompromisse hinsichtlich ihres Ruhebedürfnisses. Es kann auch nicht sein, dass Bürger, von denen Sie gewählt wurden und denen Sie Rechenschaft ablegen müssen, ihr Recht auf Nachtruhe eigens einklagen müssen und hierfür hohe Kosten aufzuwenden haben. 

Wenn jetzt aufgrund der geschilderten Umstände eine Sperrzeitverlängerung zur Entscheidung steht, ist dies kein unbilliges Ansinnen. Wir appellieren an Sie, über den Sperrzeitbeginn in der Woche um 1 Uhr hinaus, gemäß dem gerichtlichen Vergleich, auch für das Wochenende eine Vorverlegung auf 2 Uhr zu beschließen und den § 3 der Vorlage zu verändern. Orientieren Sie sich an dem Grundsatz des Begründers des Liberalismus, John Stuart Mill: „Die Freiheit des Einzelnen darf sich nicht zu einer Belästigung für Andere entwickeln.“


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld!