RNZ: Untere Strasse am Scheideweg (06.08.09)

Untere Straße am Scheideweg:
Wird hier bald nur noch gezecht?

Bürgerinitiative Linda, Lärm, Lärmbelästigung, Krach, Grölen, Gröler, Ruhestörung, Nachtruhe, Dreck, Randale, Trinken, Saufen, Kotzen, Pinkeln, Untere Strasse, SaufmeileDie Untere Straße könnte ihr Gesicht dramatisch verändern. Gleich sechs Wirte würden in der Gasse mit der ohnehin höchsten Kneipendichte in der Altstadt gerne ein neues Lokal eröffnen und stellten einen entsprechenden Bauantrag. Die Stadt hingegen versucht, dies mit allen Mitteln zu verhindern (...).


"Die Kneipensättigung ist längst erreicht", glaubt Bürgermeister Wolfgang Erichson (...). "In der gesamten Altstadt gibt es 211 Lokale bei 11000 Einwohnern. Jede weitere Wirtschaft würde die Wohnbevölkerung und den Einzelhandel noch mehr verdrängen", warnt Erichson.

Sämtliche Anträge für neue Kneipen in der Unteren Straße hat das Baurechtsamt bisher abgelehnt – bis auf einen (...). "Das wird eine Mischung zwischen Bar und Club für Publikum ab 25 Jahren", verspricht Michael Lapicz, der zusammen mit seinen Partnern bereits das "Mel’s" in der Heiliggeiststraße betreibt (...). "Wir haben sie nur genehmigt, weil die Bauvoranfrage bereits im Jahr 2007 gestellt wurde", begründet der designierte Baurechtsamtsleiter Volker Fehrer die Ausnahme: "Außerdem wollten wir an dieser Stelle die letzte Spielhalle in der Unteren Straße loswerden."

Gegen die anderen Anträge will sich die Stadt mit allen Mitteln wehren. Doch sie hat ein Argumentationsproblem. Der Gemeinderat hat den Bebauungsplan für die östliche Altstadt, mit dem neue Kneipen verhindert werden sollen, noch nicht beschlossen. Da die Stadt sich Zeit ließ und das Projekt nicht vorantrieb (der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan datiert von 2001(...) müssten die Bauanträge (...) genehmigt werden. Und so legten alle Interessenten Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid des Baurechtsamts ein. Nun muss das Regierungspräsidium Karlsruhe entscheiden (...).

"Momentan überwiegt noch die nicht-gastronomische Nutzung in der Unteren Straße", sagt Fehrer: "Doch der Gebietscharakter droht zu kippen." Da der Bebauungsplan östliche Altstadt ohnehin im Herbst verabschiedet werde, könne sich die Stadt mit ihrer Strategie immer noch Chancen ausrechnen.


Matthias Rohr vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) spricht sich hingegen gegen rigide Vorschriften für neue Gaststätten aus. Der Bebauungsplan sei ein falsches Signal für die Hotellerie und Gastronomie, besonders in Zeiten der Wirtschaftskrise. Denn so würden auch neue, hochwertige Kneipen-Konzepte verhindert.

Während sich Dehoga und Stadt noch streiten, melden sich nun auch die Anwohner zu Wort. Sie haben eine Interessengemeinschaft "Wohnen in der Altstadt" gegründet und wehren sich gegen Lärm, wildes Urinieren an Hauswänden und andere Ordnungsstörungen. "Anders als in anderen Städten wohnen hier im Zentrum der Altstadt noch viele Menschen", schreibt die Bürgerinitiative in einem offenen Brief (...): "Wir haben aber das Gefühl, dass Gaststätten hier Vorrang vor den Altstadtbewohnern haben."


RNZ, Holger Buchwald, Foto: Hoppe


> via rnz.de (Datum/Abruf: 06.08.09/01.09.09)










Leserkommentare RNZ online:

Von Peter Muckenfuß am Donnerstag, 06.08.2009 um 23:29 Uhr
Für mich als direkter Anwohner ist es der blanke Hohn,wenn in der Unteren Straße eine unauffällige Spielothek ohne Aussenbestuhlung und nächtliche Gröler durch eine Pseudo-Disco für 200 Besucher ersetzt wird und dies auch noch als Erfolg von Herrn Fehrer gefeiert wird. Genau im "Hot spot" von zerstörter Nachtruhe, Kotze und tobenden Bierfahrern noch ne neue Riesenkneipe als Erfolg zu verkaufen schlägt dem Fass den Boden aus."Herr Fehrer, ich lad' Sie für nur eine Nacht bei mir zu Hause ein. Schlafzeugs brauchen Sie nicht, es ist nur sehr laut....und um 6 Uhr,wenn die Kehrmaschine kommt für den ganzen Müll dürfen Sie heim...in Ruhe schlafen" !!!







Von Ballermann am Freitag, 07.08.2009 um 17:19 Uhr
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen:"Da die Stadt sich Zeit ließ und das Projekt nicht vorantrieb - der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan datiert von 2001". Seit 8 Jahren auf dem Abstellgleis... Da fällt einem nichts mehr ein! Die Stadtoberen liegen planlos in einer Duldungsstarre während die Altstadt als Wohnrevier vor die Hunde geht.

Zur Erinnerung... Rahmenplan Altstadtregenerierung (1975): Die Altstadt soll „in erster Linie … zu verbesserndem Wohnen dienen. Die Einrichtungen für Freizeit und Fremdenverkehr haben, insbesondere in der Kernaltstadt, verstärkt auf das Ruhebedürfnis der Bewohner Rücksicht zu nehmen. Der Tendenz zur Ausdehnung von Gaststätten ist entgegenzuwirken.“ (S. 17 Nr. 3.5)

Und dann sagt uns Herr Fehrer: "Momentan überwiegt noch die nicht-gastronomische Nutzung in der Unteren Straße", "doch der Gebietscharakter droht zu kippen."

Herrschaften! Das Revier ist bereits komplett gekippt - Mit einem normalen Leben und Job ist das kaum mehr vereinbar. Deshalb kennen die Damen und Herren das natürlich auch alles nur vom Hörensagen. Denn von der Insel, von Ziegelhausen, von Ortenberg aus läßt sich da nur schwerlich ein erleuchteter Blick drauf werfen.

Laßt uns also kommendes Jahr 25-jähriges Rahmenplan-Jubiläum feiern mit all den Familien und Gewerbetreibenden, die hier glücklich angesiedelt wurden. Mal schauen... "Es gibt keine Chance auf Verlängerung der Veränderungssperre." "Juristisch betrachtet müssten die Bauanträge demnach genehmigt werden." ja dann...Ab 2011 wäre die Übersiedelung die Alteingesessenen in die bald freiwerdenden Quartiere der Amerikaner überdenkenswert.
Überlasst die Altstadt den Irren, Säufern, Kotzern, Pissern und Schlägern, Jungesellen-Abschieds-Runden, Landproleten und Ballermännern. Regenerierung glücklich abgeschlossen! :-D

btw... Für alle Betroffenen empfehlenswertes Unterhaltungs-Programm: Ruft doch bei der nächsten nächtlichen Störung einmal die Polizei an und wartet darauf, was passiert/ob überhaupt was passiert. Erstattet Anzeige. Sprecht beim Ordnungsamt oder beim Umweltamt vor. und wartet... und wartet... Ganz großes Kino... versprochen!

Da wunderts auch keinen mehr, "daß die Anzahl der Beschwerden rückläufig ist".Während Ihr also die nächsten Jahre wartet, daß sich da irgendein Lüftchen bewegt, werden vielleicht die folgenden Fragen der Alstadt-Initiativen an die Stadtoberen beantwortet werden:

01. Welchen politischen Stellenwert haben die BewohnerInnen (11 000 in der Altstadt) gegenüber den Kneipenbesitzern mit Alkoholausschank überhaupt noch? Die BewohnerInnen fühlen sich politisch fast nicht mehr vertreten.

02. Welche Rechte und Pflichten haben die Gastwirte gegenüber der Wohnbevölkerung um sie herum (wie ist der Wortlaut z. B. des Gaststättenrechtes und wie seine Auslegung)?

03. Wessen Rechte haben Vorrang, die der steuerzahlenden in der Altstadt wohnenden und arbeitenden Bevölkerung oder die der Gastwirte und der Ruhestörer?

04. Wer sorgt in welchem Umfang (wie viele Personen bei Polizei und städtischem Aufsichtspersonal) zu welchen Tages- und Nachtzeiten an welchen Tagen der Woche für die Einhaltung der nächtlichen Ruhe?

05. Welche Konsequenzen haben Gastwirte zu erwarten, wenn sich nach 22 Uhr vor ihren Kneipen und Gastwirtschaften lautstarke Gäste aufhalten? (Bußgelder? In welcher Höhe? Herabsetzung der Öffnungszeiten? Schließung der Gaststätte?) Die Polizei sagte ihnen sinngemäß mehrfach, sie sollten sich an die Stadt wenden. Sie könnten mit ihrem wenigen Personal nicht mehr für Ruhe und Ordnung sorgen – „und dann fahren sie wieder ab“, berichten die Betroffenen.

06. Welche Konsequenzen hat die Stadt aus den Ruhestörungen und Verunreinigungen in Bezug auf die Gastwirte bisher gezogen, die für die BewohnerInnen wirksam waren? Um den Marktplatz herum und an anderen Stellen sehen die Betroffenen nur Verschlechterungen – entgegen der Behauptungen von der Stadt!

07. Wie viele und welche Kneipen und Gaststätten haben bisher eigentlich wirklich mal Bußgelder gezahlt und in welcher Höhe?







Von Neckarschleimer am Samstag, 08.08.2009 um 12:58 Uhr
(Antwort auf den Kommentar von RNZ-Leser 'bürger': "Wer all das nicht möchte, muss in die kulturelle und urbane Abgeschiedenheit ziehen, aber er soll sich dann bitteschön nicht beschweren")

Geschenkt 'bürger'! Bei jeder Diskussion muß dieses "Totschlag-Argument" kommen, nicht wahr!?

Wir alle lieben es, "in einer lebendigen Altstadt" zu leben, deshalb sind wir ja hier. Selbstverständlich wird niemand, der hier bewusst wohnt, auf den Gedanken kommen, um 22.00 Uhr absolute Nachtruhe einzufordern, wie man sie in den ruhigeren Wohnvierteln mit Recht erwarten darf.

Aber: Auch für die Bewohner der Altstadt muß Recht weiterhin Gültigkeit haben. Es gilt, die Grenze des Erträglichen zu markieren und dann endlich auch Taten folgen zu lassen! Alibi-Veranstaltungen wie der "runde Tisch" und "gelbe Karte" haben sich lange schon als unbrauchbares PR-Geblubber disqualifiziert.

Auch hier gelten grundsätzlich die Zeiten für Nachtruhe (Landesimmissionsschutzgesetz).
Auch hier gibt es bundesweit gültige Grenzwerte für Mischgebiete, festgeschrieben in der "Technischen Anleitung Lärm".

Nicht einmal ansatzweise werden diese umgesetzt. Im Bereich "Untere Straße" hat sich über die letzten Jahre ein quasi rechtsfreier Raum gebildet, der von der Polizei - wenn es nicht gerade gewalttätig ausartet - nach Möglichkeit gemieden wird.

Das Umweltamt vermeldet hierzu, daß Lärmpegelmessungen nicht mehr möglich sind, weil die Lärmverursacher in der flächendeckenden Anarchie nicht mehr zuzuordnen sind. Und die Polizei vermeldet, sie könne jahrelang gewachsene gesellschaftlichen Misstände nicht korrigieren.

Schuld sind - glaubt man den Gastronomen - die "Rucksack-Säufer" auf den Straßen, in deren Windschatten sie mit kostenfreien "Aussenbewirtungs-Flächen" prächtig Mehr-Umsätze generieren. Um dann scheinheilig am "runden Tisch" Platz zu nehmen, um 'guten Willen' zu dokumentieren.

Was auf dem RNZ-Foto zum Beitrag zu sehen ist, hätte man noch in den 80ern und 90ern ohne jeden Zweifel als "Heidelberger Herbst-Schnappschuss" identifiziert.

Heute ist das "der ganz normale Wahnsinn" - Wochenende für Wochenende.